Jugendstudie 2024

  • Wahlen und Demonstrationen sind für junge Menschen wirkungsvolle Instrumente, um politischen Einfluss zu nehmen – Nationale Wahlen wichtiger als Europawahlen
  • Nur jeweils knapp ein Fünftel fühlt sich durch das Parlament des eigenen Landes und durch das EU-Parlament repräsentiert
  • Knapp jeder zweite Befragte beobachtet im eigenen Land demokratiefeindliches Verhalten
  • Wichtigste Errungenschaft der EU: Reisefreiheit – Wichtigstes Thema: Migration

Junge Menschen in Europa haben die Errungenschaften und Werte der Europäische Union (EU) und der Demokratie verinnerlicht und schätzen sie. Gleichzeitig sehen sie deutliche Schwächen und Probleme. Mehr als die Hälfte der jungen Europäerinnen und Europäer finden, dass die Mitgliedschaft ihres Landes in der EU „eine gute Sache“ ist. 39 Prozent sagen, dass die Verbindungen zwischen den EU-Ländern enger werden sollen. Wahlen und Demonstrationen sind für junge EU-Bürgerinnen und Bürger die wichtigsten Mittel, um politischen Einfluss auszuüben. Jedoch fühlt sich nur knapp ein Fünftel durch das Parlament des eigenen Landes und durch das EU-Parlament stark oder sehr stark repräsentiert. Vier von zehn Befragten sehen die Demokratie in ihrem Land in Gefahr. Viele nehmen große gesellschaftliche Spannungen und eine politische Polarisierung wahr.

Das sind einige Ergebnisse der achten repräsentativen Jugendstudie „Junges Europa“ der TUI Stiftung. Die Jugendstudie wurde anlässlich der Wahlen zum Europäischen Parlament heute in Berlin vorgestellt. Das Meinungsforschungsinstitut YouGov hatte dazu im März 2024 5874 Menschen zwischen 16 und 26 Jahren in Deutschland, Frankreich, Spanien, Italien, Griechenland und Polen befragt.

Junge Menschen stehen zu Europa und zur Demokratie. Es sind die grundlegenden Freiheiten und Werte Europas, die sie als die wichtigsten Errungenschaften der EU sehen: Reisefreiheit, Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit. Die Zustimmung zu den Stärken der EU ist bei jungen Menschen deutlich ausgeprägter als zu ihren Schwächen. 53 Prozent der Befragten sehen große Stärken, 41 Prozent sehen große Schwächen. In Deutschland überwiegt dieser positive Blick auf die EU mit 56 Prozent, nur 33 Prozent der Befragten stimmen der Aussage zu, dass die EU große Schwächen hat. Die neue Zeit hat junge Europäerinnen und Europäer ein Stück weit wachgerüttelt. Frieden, Sicherheit, Wohlstand sind nicht selbstverständlich – auch wenn es die letzten 30 Jahre für viele so schien und wir uns bequem so eingerichtet hatten. Wir müssen jeden Tag aktiv für die europäischen Werte eintreten und sie verteidigen. Junge Menschen fühlen sich allerdings zunehmend sicherer in der Beurteilung politischer Entwicklungen, wie die Europa-Jugendstudie 2024 zeigt. Das ist eine gute Entwicklung für ein aktive und lebendige Demokratie. Denn sie lebt vom Dialog, vom Austausch von Argumenten und dem Willen zur Mitgestaltung“, sagt Thomas Ellerbeck, Vorsitzender der TUI Stiftung.

Während 68 Prozent nationale Wahlen für (eher) wichtig halten, sagen dies nur 58 Prozent über die Europawahl. Besorgniserregend ist, dass nur knapp über die Hälfte der Befragten (56 Prozent) – in Deutschland 72 Prozent – die Wahlen im jeweiligen Land (eher) für korrekt und fair abgehalten hält. Weniger als die Hälfte (42 Prozent) stimmt der Aussage (eher) zu, in der Schule oder Ausbildung gut auf Wahlen vorbereitet zu werden. In Deutschland sind es 51 Prozent – das höchste Ergebnis im Ländervergleich.

Junge Erwachsene fühlen sich weder in der EU, noch im eigenen Land ausreichend repräsentiert

Laut Studie der TUI Stiftung fühlen sich nur 17 Prozent der Befragten durch das Europaparlament stark oder sehr stark vertreten (in Deutschland 19 Prozent). Auf nationaler Ebene sieht es ähnlich aus: Auch hier sind es im Durchschnitt nur 17 Prozent, in Deutschland 23 Prozent, die sagen, „das Parlament vertritt mich stark oder sehr stark“. Besonders klar fällt die Ablehnung in Italien und Griechenland aus: Jeweils 55 Prozent der Befragten geben an, sie fühlten sich „überhaupt nicht“, oder „weniger stark“ vom jeweiligen nationalen Parlament vertreten. Dazu kommt, dass rund ein Drittel der jungen Erwachsenen den Eindruck haben, im jeweiligen Land würden eher die Interessen von Älteren berücksichtigt: in Deutschland sind es 40 Prozent, in Italien 49 Prozent.

Mehr als jeder Zweite (56 Prozent, in Deutschland 51 Prozent) stimmt der Aussage (eher) zu, dass Politiker und Politikerinnen sich nicht viel darum kümmerten, was junge Menschen denken. Mehr als zwei Drittel der Befragten (68 Prozent, in Deutschland 64 Prozent) sind außerdem (eher) der Ansicht, dass Politiker und Politikerinnen zu viel reden und zu wenig handeln.

„Drei Viertel der jungen Europäerinnen und Europäer sehen Wählen als Bürgerpflicht. Mehr als zwei Drittel von ihnen betrachten die Wahlen als ein effektives Mittel für politische Veränderung, deutlich mehr als im Vorjahr. Und gleichzeitig fühlen sich nur 17 Prozent der jungen Menschen durch das EU-Parlament oder ihre nationalen Parlamente vertreten. Es besteht eine kritische Repräsentationslücke. Diese bedroht die Legitimität der EU bei denjenigen, die doch ihre Zukunft sind. Deshalb bleiben Information und Aufklärung in und außerhalb der Schulen weiterhin ein wichtiges Element politischer Bildungsarbeit“, sagt die Geschäftsführerin der TUI Stiftung, Elke Hlawatschek.

Repräsentation im Europäischen Parlament ist keine Frage von Geschlecht oder nationaler Herkunft der Abgeordneten, sondern von Alter und Partei

Aber welche Faktoren beeinflussen das Gefühl junger Menschen, von Abgeordneten des Europäischen Parlaments repräsentiert zu werden? Im Rahmen der diesjährigen Befragung wurde dazu ein Experiment durchgeführt. Den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Befragung wurden aus einer Vielzahl verschiedener Kombinationen jeweils drei hypothetische Kandidierende präsentiert, die sich hinsichtlich ihres Herkunftslandes, ihres Alters (25 und 55 Jahre alt), ihres Geschlechts und ihrer angestrebten Fraktion unterschieden. Dann wurden die Befragten um eine Bewertung gebeten, wie gut oder schlecht sie sich durch die gezeigte Person im Europäischen Parlament repräsentiert fühlten. Das Ergebnis: Repräsentation im Europäischen Parlament ist keine Frage von Geschlecht oder nationaler Herkunft der Abgeordneten, sondern von ihrem Alter und der von ihnen vertretenen Politik.

Wichtigste Errungenschaft der EU: Reisefreiheit – Drängendstes Problem: Migration und Asyl

Knapp die Hälfte (49 Prozent) aller Befragten finden, das freies Reisen innerhalb der EU die wichtigste Errungenschaft sei (Deutschland 51 Prozent), danach kommt die EU-Freizügigkeit für Studium und Arbeit (42 Prozent gesamt, in Deutschland 40 Prozent). Es folgen der Euro als gemeinsame Währung (38 Prozent gesamt, in Deutschland 45 Prozent) und die EU-Grundwerte: Frieden und Solidarität (35 Prozent gesamt, in Deutschland 41 Prozent ), Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit (32 Prozentgesamt , in Deutschland 38 Prozent ).

Das gegenwärtig wichtigste Problem auf EU-Ebene ist für junge Europäerinnen und Europäer das Thema Migration und Asyl mit 36 Prozent. In Deutschland sind es 46 Prozent, in Polen 33 Prozent. Umwelt- und Klimaschutz rücken im Vergleich zu 2023 damit im Problembewusstsein auf Platz zwei mit 26 Prozent (Deutschland 33 Prozent). Bildungspolitik und Digitalisierung rangieren 2024 mit 13 Prozent bzw. neun Prozent weit unten auf der Problem-Skala.

Deutsche zufriedener mit der eigenen Demokratie als andere Europäer und Europäerinnen

Großer Unmut herrscht bei den jungen Europäern und Europäerinnen mit Blick auf den Zustand der Demokratie im eigenen Land. Nur knapp ein Viertel (23 Prozent) zeigt sich (eher) zufrieden. Deutschland ist hier eine Ausnahme: Hier sind es vier von zehn (42 Prozent). Im Zeitvergleich nimmt die Zustimmung leicht zu. Besonders deutlich zeigt sich das in Deutschland (2024: 42 Prozent, 2023: 35 Prozent) und Polen (2024: 23 Prozent, 2023: zehn Prozent). Dennoch: die Frustration bleibt groß. Deutschland ist auch weiterhin das einzige der befragten Länder, in dem zwar nicht die Mehrheit, aber ein größerer Anteil der Befragten eher zufrieden als unzufrieden ist. Nach Plus- und Minuspunkten gefragt, werden bei den Stärken der Demokratie vor allem Meinungs- und Pressefreiheit (46 Prozent), aber auch politische Teilhabe (43 Prozent) genannt; bei den Schwächen Korruption (43 Prozent) und zu langsame Entscheidungen zum Beispiel in Krisensituationen (37 Prozent).

Im eigenen Land nehmen junge Menschen große gesellschaftliche Spannungen vor allem zwischen politisch links und rechts stehenden und zwischen reichen und armen Menschen wahr. Knapp jeder zweite Befragte beobachtet im eigenen Land demokratiefeindliches Verhalten (49 Prozent). In Deutschland ist es über die Hälfte der Befragten (55 Prozent), in Griechenland sogar 67 Prozent. Vier von zehn Befragten geben an, die Demokratie in ihrem Land sei in Gefahr.

Grundsätzlich ist die junge Generation in ihrer politischen Einstellung keine homogene Gruppe, die grundsätzlich eher konservativ oder eher progressiv positioniert ist. Junge Europäerinnen  und Europäer nehmen im politischen Ordnungssystem keine eindeutige Position ein. Zum Beispiel zeigt sich rund ein Drittel der Befragten migrationskritisch. Gleichzeitig gehen 36 Prozent staatliche Gleichstellungsmaßnahmen nicht weit genug, und 35 Prozent würden die Bekämpfung des Klimawandels dem Wirtschaftswachstum vorziehen.

„Die demokratische Staatsform wird mit Stärken und Schwächen in der Umsetzung wahrgenommen. Es gibt ein stabiles Wertefundament, jungen Europäerinnen und Europäern ist es nicht egal, in welchem System sie leben – ob in einer Demokratie oder Autokratie. Sie denken nicht in Lagern, sondern eher pragmatisch, nüchtern und kritisch. Die eher flexible politische Einstellung macht es den Parteien schwierig, klare Angebote zu bieten“, sagt Politikwissenschaftler Prof. Dr. Thorsten Faas von der FU-Berlin, der die Studie wissenschaftlich begleitet hat.

Eigene Zukunft wird weiterhin kritisch gesehen

Mit Blick auf ihre persönliche Situation und Lebenswelt schauen junge Europäer und Europäerinnen weiterhin negativ in die Zukunft. Ein gutes Drittel (34 Prozent) ist (eher) pessimistisch eingestellt. Einzig in Frankreich zeigen sich junge Befragte optimistischer. Deutschland bleibt im Vergleich zum Vorjahr stabil (eher optimistisch und optimistisch: 56 Prozent).

„Die Vielzahl an nationalen und globalen Krisen belastet und verunsichert junge Erwachsene in Europa nach wie vor. Eine sichere Zukunft und das Wohlstandsversprechen demokratischer Gesellschaften sind nicht selbstverständlich. Die Zukunftserwartung ist gedämpft, wird aber insgesamt nicht schlechter, sondern stabilisiert sich in diesem Jahr auf niedrigem Niveau“, sagt Faas.

Pressemeldung zur Jugendstudie 2024
Broschüre „Junges Europa 2024“ – Die Jugendstudie der TUI Stiftung
Gesamtstudie „Junges Europa 2024“ – Die Jugendstudie der TUI Stiftung
Gesamtstudie „Junges Europa 2024“ – Die Jugendstudie der TUI Stiftung (english)